Rückblick: Joseph Kuwasseg


Joseph Kuwasseg war ein bedeutender auch in England hoch geschätzter Grafiker und Aquarellist und seine Qualität ist auch heute noch in Kennerkreisen unbestritten. Fast 203 Jahre haben seit seiner Geburt am 25.11.1799 in Triest vergehen müssen, bis sein vielschichtiges Werk erstmals in einer Ausstellung in all seinen Facetten gezeigt wird.

Die Lebenszeit Joseph Kuwassegs, die etwas mehr als die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts umfasst, fällt in eine Epoche, deren Umbrüche, Konflikte und künstlerische Probleme ein disparates jeder Vereinfachung widersprechendes Bild ergeben. Ein zentrales Thema dieser Zeit war die Landschaftsmalerei. Barocke Malprinzipien der idealistischen Landschaftsdarstellung gingen in eine naturalistische bzw. realistische Wirklichkeitsschilderung über, wobei die reine Form dieser Begriffe die Ausnahme bildete und Mischformen die Regel waren.

Aber nicht nur die Kunst war von einschneidenden Veränderungen betroffen, auch der Status der Künstler hatte sich entschieden gewandelt. Die Mehrheit waren keine Hofkünstler oder Auftragnehmer des Klerus, langfristiges Mäzenatentum wurde selten. Die Künstler waren auf sich selbst gestellt und oft gezwungen, ihnen nicht entsprechende Arbeiten auszuführen. Kuwasseg z.B. dekorierte den Eissalon beim ehemaligen Colliseum, einem der bedeutendsten Unterhaltungszentren der Monarchie, und selbst Waldmüller musste in jungen Jahren durch Kolorieren von Zuckerbäckerbonbons oder dilettantischen Miniaturmalerein sein Geld verdienen.

Die Entwicklungen der Zeit hatten selbstverständlich Auswirkungen auf das breite Kunstpublikum. Das neue Selbstverständnis der Bürger manifestierte sich in einer neuen Sammlerklientel, die den Wunsch hatte, ihre Wohnungen mit Bildern zu schmücken, wobei das Ölbild die Ausnahme bildete. Der normale Schmuck war der Kupferstich oder die Lithographie, deren Wert oft in einer unglaublichen technischen Perfektion zu sehen ist. Es ergab sich auf diesem Gebiet für die Künstler ein reiches Betätigungsfeld in den prosperierenden lithographischen Anstalten, die diese Tendenz zu nutzen wussten.

Joseph Kuwassegs frühe Arbeiten stammen aus seiner Zeit an der ständischen Zeichnungs-Akademie in Graz, die sich im Palais Wildenstein in der Hans-Sachs-Gasse befand. Ähnlich wie in Wien galt auch in Graz dem Landschaftsfach verstärktes Interesse bis es unter der Direktion von Josef August Stark vor allem was die Naturbeobachtung anlangte, zu einem stetigen Rückschritt kam. Starks Lehre von der Natur fand nur im Vergleich mit der "idealen Natur" statt, wodurch der Klassizismus in der Steiermark weit über seine Zeit hinaus festgehalten wurde. Künstler wie Kuwasseg waren es, die abseits vom akademischen Lehrbetrieb das Interesse an einer zeitgemäßen Landschaftsdarstellung bewahrten.

Kuwasseg hat in der Technik der Lithographie ein reiches Werk hinterlassen.
Sein erster Auftraggeber war die Firma Trentsensky in Wien, für die Künstler wie Schwind, Kriehuber, Loder, Ranftl und andere arbeiteten. 1829 beauftragte sie Joseph Kuwasseg mit der Anfertigung einer Landschaftszeichenschule. Dies zeigt die hohe Wertschätzung des Künstlers in Wien, eines der wichtigsten Kunstzentren der damaligen Zeit, das die bedeutendsten Künstler beherbergte.
Kuwasseg, der von einem seiner Schüler als wortkarg, menschenscheu und introvertiert charakterisiert wurde, hatte wenig Neigung zum Lehrer. Sein Können vermittelte er vorwiegend theoretisch durch seine Zeichenschulen. 1842 erschien eine weitere im Verlag Heribert Lampel. Sie gibt Zeugnis von Kuwassegs großem malerischen Können und seinem intensiven Studium der Natur, das sich in botanischer Authentizität und lebendiger Naturschilderung äußert.

Kuwasseg war ein kongenialer Topograph. Seine druckgrafischen Arbeiten für die lithografische Anstalt der Brüder Trentsensky in Wien und die Verlage Joseph Franz Kaiser und Heribert Lampel in Graz beweisen sowohl sein Geschick in der Komposition als auch in der malerischen Umsetzung. Diese Arbeiten gehören zu den unersetzlichen topografisch-historischen, aber auch kunst-, und industriegeschichtlich sowie volkskundlichen Bilddokumentationen.
Bildthema waren meist ein architektonisches Zentrum in einem Landschaftsausschnitt. Häufig schafft er im Vordergrund eine Bildkulisse durch einen einseitig situierten dekorativen Baum, ein tradiertes Bildmotiv einer idealen Landschaftssicht, das in Verbindung mit dem Ausblick auf den zentralen Bildgegenstand dem zur Zeit des Biedermeier sehr geschätzten "Realidealismus" entsprach. Zur Illusion von Räumlichkeit setzt er zentralperspektivische Verkürzungen, die Vermittlung der Luftperspektive durch das Abnehmen der Farbintensität, Hell-dunkel-Kontraste, raumschaffende Schlagschatten und Körperüberschneidungen ein.
Diese Arbeiten zeigen jedoch auch sehr deutlich eine kontinuierliche Abkehr von tradierten Bildvorstellungen und eine Hinwendung zu einer innovativen sachlichen Wirklichkeitsschilderung ohne rahmendes Kulissenmotiv.

Unter dem Einfluss der akademischen Ausbildung in Graz und der Situation in Wien ist Kuwasseg auch in der Aquarellmalerei anfangs dem idealen Landschaftsbild mit seinen spätbarocken bzw. klassizistischen Tendenzen verpflichtet. Er entfernt sich von ihnen nicht radikal jedoch kontinuierlich. Kuwassegs Stärke liegt zweifellos im Aquarell. Das Ölbild stellt in seinem Oeuvre die Ausnahme dar. In vielen seiner Aquarelle trifft sich freie poetische Erfindung und realistische Landschaftsmalerei. Phantasievoll gestalteten Vordergründen, mit bizarren Felsen, üppigen Bäumen und schräg ins Bild führenden Wegen oder Bächen, werden Architekturbilder beigefügt, die dem realen Landschaftsbild entsprechen. Kuwasseg setzte sich in seinem Werk gezielt mit den Problemen des haptischen Naturalismus wie Unbeständigkeit der Farbe in der Natur oder Wandel der Erscheinung bei sich änderndem Licht auseinander. In seiner Farbgebung ist zwar grundsätzlich die traditionelle Zuordnung der Bildgründe zu den Farben Braun, Grün und Blau zu erkennen, ihre Übersteigerung führt jedoch jenseits von biedermeierlicher Beschaulichkeit zu einer Verselbständigung der Farbigkeit, die über einen beschränkten empirischen Objektivismus hinausgeht. Kuwasseg negiert die herkömmlichen biedermeierlichen Tendenzen, wie glatter Farbauftrag, plastische Eindeutigkeit, lineare Bestimmtheit oder Rationalität und Überschaubarkeit des atmosphärelosen Bildraumes. Er visualisiert von den Farben der Naturbeobachtung ausgehend Erscheinungsfarben, um die Atmosphäre und den Stimmungswert der Landschaft zu vermitteln. Er gilt daher auch als einer der Begründer der realistischen Wirklichkeitsschilderung in der Steiermark.

Einen besonderen Stellenwert nehmen Kuwassegs Grazansichten ein. In ihnen zeigt er sich als Künstler, der alle medialen Möglichkeiten dieses Sujets einsetzt. In den beiden Hochwasserbildern von 1827 bedient er sich einer sehr modernen Darstellungsform, die man als Reportagelandschaft bezeichnet. Indem das Bildpaar sich wechselseitig kommentiert und ergänzt erzeugt es ein Spannungsmoment, auf das heute das Fernsehen setzt. Er schafft in seinem "Panorama von Graz" z.B. ein entgrenztes Bild von Graz von Mariatrost bis Straßgang, das ähnlich einer filmischen Sequenz einen gesteigerten Informationsanspruch vermittelt.

In zahlreichen Ansichten spielt er mit dem Dualismus von Nähe und Ferne, ein beliebtes Thema seiner Zeit, das er sehr variantenreich und raffiniert umsetzt.
Er arbeitet in allen Formaten, vom Postkartenformat bis zu einem Format von 1,9o x 1 m, eine Größe, die zu seiner Zeit im Aquarell meines Wissens von keinem Künstler gewagt wurde. Je größer das Format, um so schwieriger ist in der Technik des Aquarells die Abstimmung zwischen Größe, Geschwindigkeit des Auftrages, persönlichem Ausdruck und Disziplin der Handschrift. Kuwasseg meistert diese Aufgabe genau so, wie es ihm gelingt auch im kleinsten Format durch mikroskopisch differenzierte Schatten ein unglaubliches Volumen zu modellieren und fast spürbar Atmosphäre zu vermitteln.
In den 1853/54 entstandenen Ansichten der kaiserlichen Burg in Graz vor und nach der Demolierung, die erstmals hier ausgestellt sind, dokumentiert Kuwasseg parallel zur Fotografie den Abbruch der Burgsubstanz, die damals fast zur Hälfte verloren ging. Die bildenden Künstler haben zur Mitte des Jahrhunderts ihre Vorrangstellung als Dokumentatoren bereits teilweise an die Fotografie abgeben müssen. Dem Künstler blieb die Möglichkeit, durch leichte Modifizierungen - und diese nahm Kuwasseg vor - eine optimale Präsenz des Bildmotives zu geben, die den Möglichkeiten der Fotografie Grenzen setzte.

Kuwasseg war nicht nur Stadttopograph, er war auch Welttopograph.
Für Professor Franz Unger, einem der ganz großen Gelehrten der Biowissenschaften, der Jahre vor Darwin eine Deszendenztheorie klar ausgesprochen hat, schuf er eine Aquarellserie, die nach Ungers Angaben auf Grund von Knochenfunden und Pflanzenfossilien die Urwelt in ihren verschiedenen Entwicklungsstufen darstellt. Unger fand in Wiener Künstlerkreisen, keinen der sich dieser schwierigen Aufgabe stellte. In Kuwasseg fand er, nach seinen Worten "einen genialen Künstler", der sich nicht nur der Schwierigkeit stellte sondern diesen Darstellungen auch einen geheimnisvollen Zauber aufdrückte.

Gertrude Celedin